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Regulierungsflut und Transparenz: Was hilft dem Kapitalmarkt wirklich?
Cafe BE: Unsere Runde steht unter dem Motto aktuelle rechtliche und regulatorische Fragen, die für den Finanzplatz Wien bedeutend Sie. Wo drückt Sie oder Ihre Klienten aktuell am meisten der Schuh?
Elke Napokoj: Momentan haben sehr viele Klienten einen Finanzierungsbedarf, der – wie Sie alle wissen – oftmals sehr schwer über Kapitalerhöhungen oder andere öffentliche Angebote zu lösen ist. Man überlegt dann Alternativen, stösst im österreichischen Recht aber sehr oft auf Probleme. Kapitalerhöhungen über die Börse sind momentan etwa für bestimmte Unternehmen einfach nicht durchführbar. Möchte das Unternehmen einen allfälligen Finanzbedarf, zB für eine Übernahme, mit einem Share to Share Deal oder einer Alternative lösen, dann ist das mit den österreichischen Kapitalerhaltungs- und Kapitalaufbringungsvorschriften oft nicht vereinbar.
Bei einem Share to Share Deal werden die Assets in ein österreichisches Unternehmen via Sacheinlage gegen Gewährung von neuen Aktien eingebracht. Dies ist ein im Ausland gewöhnlicher Vorgang; scheitert jedoch in Österreich häufig an der Differenzhaftung: Der Sacheinleger haftet fünf Jahre lang verschuldensunabhängig. Ein englischer Investor sagt dann schnell, diese Vorschriften sind ihm zu skurril, die gibt es im englischen Recht nicht. Daran scheitern momentan auch Transaktionen. In Grossbritannien oder Deutschland hingegen sind vom Gesetzgeber gewisse Erleichterungen für kleine Kapitalerhöhungen und Ähnliches vorsehen. Das wäre auch für österreichische Unternehmen sehr vorteilhaft.
Paul Severin: Im Investmentfonds-Bereich sehe ich im Wesentlichen zwei grosse Entwicklungen: Regulatorisch sind die Vorschriften verschärft worden – Stichwort ist UCITS IV, die neue EU-Richtlinie, die jetzt in lokales Recht umgesetzt wird. Das bedeutet natürlich Aufwand. Auch die neue Kapitalzuwachssteuer wird die Investmentbranche treffen und zusätzlichen administrativen Aufwand bringen – und das in einer Zeit, in der das Wertpapiergeschäft alles andere als einfach ist.
Dominik Damm: Ich sehe zwei, drei Herausforderungen: Zum einen die zahlreichen regulatorischen Massnahmen, die im gleichen Zeitraum auf die Finanzbranche einprasseln: Basel III, CRD IV, UCITS IV, Mifid II, man redet bereits von UCITS V. Diese Massnahmen sind unfassbar vielschichtig. Die juristische Herausforderung ist die Integration ins bestehende Recht. Da ist mir noch nicht ganz klar, wie das funktionieren soll. Es wird in den nächsten Jahren jedenfalls spannend, wie diese Fülle von Gesetzen in das nationale Recht integriert werden soll. Wir werden de facto einen riesigen regulatorischen Umbruch sehen.
Von der praktischen, der geschäftlichen Seite haben wir bei den Banken gesehen, dass sich mit Basel III zuerst alles auf das Kapitalthema konzentriert hat, also auf die Frage, ob die neuen Kapitalquoten erreicht werden können. Dann rückte die Liquidität in den Fokus, und diese Kennzahlen werden in der Umsetzung wahrscheinlich mindestens genauso schwer einzuhalten sein. In Summe wird das ein gewichtiges GuV-Thema für die Banken. Es wird künftig sehr, sehr schwierig, einen Return on Equity zwischen 10% und 15% zu erwirtschaften. Die Folge sind geschäftsmodell-strategische Überlegungen in den Banken: Kann das Geschäftsmodell noch Ertrag abwerfen, wie muss es geändert, risikogewichtete Aktiva abgebaut oder Kapitalmassnahmen getroffen werden. Das sind schon sehr, sehr strategische Überlegungen.
Kurt Pribil: Nicht nur der Börse Express feiert zehn Jahre, die FMA ist heuer auch zehn Jahre. Für mich im Rückblick waren es sehr aufregende Jahre, und es reisst nicht ab. Ich wage zu behaupten, dass sich in keiner Epoche davor so viel getan hat, wie in den letzten zehn Jahren. Drei Punkte von meiner Seite: Die FMA ist als unabhängige, weisungsfreie Behörde gegründet worden und hat mittlerweile ihre Durchsetzungskraft verstärkt. Und wir haben den Einstieg in die Europäisierung der Aufsicht begonnen.
Zu Basel: Früher war die Aufsicht Kontrolle über nackte Kennzahlen, mit Basel II sind wir in die qualitative Aufsicht, in die Systemaufsicht hineingegangen. Die Krise hat gezeigt, dass dies allein noch nicht genügt. Das Eigenkapital war für die Banken nicht ausreichend hart definiert und auch zu niedrig. Mit Basel III haben wir nun ein verbessertes Risikomanagement, eine Systemaufsicht und bessere und höhere Eigenkapitalquoten.
Letzter Punkt: Unser Kampf gegen Marktmanipulation und Insider. Hier leiden wir schon noch etwas unter der ‘Insider Party’ der 90er Jahre. Der Kampf gegen Marktmanipulation im breitesten Sinne war bis 2005 überhaupt totes Recht, Stichwort Telekom Austria. Jetzt haben wir ausreichende Bestimmungen, auch im Kampf gegen Insider. Allerdings müssen wir – und damit meine ich alle Beteiligten, bis hin zu den Gerichten – das auch entsprechend umsetzen.
Cafe BE: Stichwort Marktmanipulation. Herr Severin, haftet Österreich aus Investorensicht nach wie vor dieses Negativ-Image an?
Severin: Die Wiener Börse hat zum einen eine sehr positive Entwicklung genommen und sich über Privatisierungen und die Öffnung nach Osteuropa international positioniert und lange Zeit davon profitiert. Aber es gab leider auch immer wieder Vertrauens-Rückschläge, etwa bei den Immoaktien, bei der Telekom Austria. Solche Ereignisse schaden natürlich dem Börseplatz. Dazu gehören auch Änderungen in den Rahmenbedingungen generell, etwa die Einführung einer Kurszuwachssteuer. Das sind Ereignisse, die in Summe dem Finanzplatz eher geschadet haben. Dieses Vertrauen muss dann immer wieder behutsam neu aufgebaut werden. Es kann natürlich auch Unternehmen verschrecken, die vielleicht an die Börse gehen wollen.
Napokoj: Österreich ist immer noch ein Land der Familienunternehmen, auch diese haben Kapitalbedarf. Man müsste vielleicht etwas mehr auf die Struktur der österreichischen Wirtschaft eingehen. Wenn wir Klienten sagen, welche Verpflichtungen mit einer Notiz im „mid market“ der Wiener Börse verbunden sind, dann ist vielen der Verwaltungsaufwand zu hoch. Hier sollten Alternativen angedacht werden.
Damm: Um bei den KMU einzuhaken: Zum Kommissionsentwurf zur Eigenkapitalrichtlinie CRD IV (Gesetzgebungsvorschlag der EU-Kommission zur Umsetzung der neuen Eigenkapitalregeln Basel III in europäisches Recht, Anm.)kam zuletzt der Vorschlag für eine Senkung der Risikogewichte für KMU um 30%. Das ist ein zarter Versuch, die Eigenmittelanforderungen der Banken für diese Unternehmen zu reduzieren. Ob es auch umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Ich denke aber, dass man sich der KMU-Thematik auf parlamentarischer Seite bewusst ist.
Pribil: Eine Bemerkung zur Kapitalmarktkultur und KMU, wir diskutieren das auch oft in der Europäischen Wertpapieraufsicht. Es gibt da vielleicht einen gewissen Spielraum. Nur ist dieser nicht sehr gross, das hat auch mit Haftungsfragen zu tun. Was die Transparenz anbelangt, ist bereits ein Umdenken eingetreten. Transparenz bedeutet etwa nicht, dass der Kapitalmarktprospekt von 90 auf 180 Seiten verdoppelt wird, sondern dass man einen, für den Investor lesbaren Beipackzettel hat.
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Cafe BE: Die Fondsbranche ist ebenfalls mit der Vereinfachung von Prospekten konfrontiert. Wie geht es Ihnen dabei?
Severin: Das sogenannte Key Information Document, KID, ist für die Investmentbranche das neue Factsheet, das den vereinfachten Prospekt ablöst und bis Sommer verpflichtend zur Verfügung steht. Ich finde das positiv für die Konsumenten, weil das Anlageprodukt leichter verständlich und übersichtlicher wird. Damit einhergehen weitere Neuentwicklungen, etwa was den Risikofaktor in der Veranlagung anbelangt.
Da gibt es den SRRI-Indikator, das ist ein synthetischer Risiko-Ertrags-Indikator, bei dem auf Basis der Vergangenheit die Volatilität des Produkts ermittelt und in Kategorien transparent gemacht wird. Die Produkte werden damit in punkto Risiko vergleichbarer, auch die Kosten werden transparenter. Alles in allem ist das ein sehr positiver Schritt in Richtung Konsumentenschutz, verbunden allerdings mit einem ordentlichen Implementierungsaufwand.
Cafe BE: Der Aufwand wurde bereits ein paar Mal angesprochen. Dürfen Kosten-Nutzen-Rechungen für den Gesetzgeber ein Thema sein?
Napokoj: Das ist eine sehr schwierige Frage. Zum einen versucht man, die Prospekte zu vereinfachen, zum anderen handelt es sich dabei für Unternehmen um ein Haftungsdokument. Schlussendlich mündet es dann oftmals wieder in einem riesigen Dokument, um potenzielle Haftungen auszuschliessen. Die Balance ist schwierig. Generell werden die Corporate Governance Themen natürlich für Unternehmen immer aufwendiger und kostspieliger. Aber hier kann man von Beraterseite nicht sagen: ‘Überlegt Euch die Kosten und schränkt das ein’. Das geht einfach nicht. Das ist einfach ein gestiegener Aufwand, mit dem man fertig werden muss.
Damm: Wir sehen schon, dass unsere Kunden teilweise kämpfen, und ich rede da durchaus auch von den grösseren. Zum einen werden die regulatorischen Vorschriften immer strenger und umfangreicher, zum anderen wird auch die Auslegung immer schwieriger. Ich würde mir wünschen, dass das in vielen Leitfäden erwähnte Proportionalitätsprinzip stärker umgesetzt wird. Es ist schon klar, dass international aktive Banken alle Vorschriften bis zu einem sehr hohen Grad erfüllen müssen. Dass diese Vorschriften auch für kleinere Banken, Privatbanken gelten, ist auch einzusehen. Aber der Porportionalitätsgedanke sollte wirklich gelebt werden. Das ist natürlich eine Gradwanderung. Aber ansonst werden irgendwann die Compliance- und die Mid-Office-Abteilungen grösser sein als jener Bereich, der das Geschäft machen soll.
Cafe BE: Was sagt die FMA dazu?
Pribil: Das ist noch relativ moderat im Vergleich zu dem, was wir sonst zu hören bekommen. Ganz klar ausgedrückt: Vor der Krise wurden wir, auch die anderen Aufseher gescholten, weil es „viel zu viele“ Bestimmungen gab. Alle sind gegen die so genannte Überregulierung angerannt. Und nach der Krise waren wir wiederum schuld, dass es zu wenige Instrumente zur Vorbeugung gegeben hat.
Ihre Frage war auch, ob wir Kosten-Nutzen-Rechnungen scheuen. Ganz und gar nicht. Es stellt sich aber schon die Frage, was bei den Kosten bzw. dem Nutzen berücksichtigt wird. Vor der Krise gab es einige Studien der Industrie, die aufgezählt haben, wie teuer die Regulierung ist. Solche Studien würden natürlich nach der Krise ganz anders aussehen. Wenn man den möglichen Implementierungskosten die Auswirkungen einer Krise, auch einer regionalen, gegenüberstellt, dann wage ich zu behaupten, dass viele solcher Studien ganz anders ausgegangen wären.
Noch zwei Gedanken: Gerade wir als kleineres Land treten in den europäischen Gremien immer für gelebte Proportionalität ein - dort wo es Sinn macht. Das heisst, kleinere Betriebe oder Finanzmarktteilnehmer sollen von gewissen Regelungen weniger betroffen sein oder Flexibilität haben. Compliance darf nicht zu kurz kommen, aber sie muss lebbar sein.
Und damit Regulierung nicht zum Selbstzweck wird, darf es auch nicht sein, dass bei Banken Gewinne in guten Zeiten absolut privatisiert sind und die Verluste – so es schief geht - sozialisiert werden. Und damit meine ich nicht nur österreichische, sondern internationale Banken. Hier muss überlegt werden, wie man mit diesem globalen Problem umgeht.
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Severin: Ich erwarte, dass aufgrund der Regulierung das Produktangebot reduziert wird. Am Beispiel Derivate: In Investmentfonds sind sie zwecks Absicherung von Risken gang und gäbe. Wenn in der Beschreibung der Veranlagungsstrategie und im Prospekt allerdings breit der Einsatz von Derivaten beschrieben wird, dann schreckt das viele Berater, viele Anleger ab – obwohl die Instrumente zum Nutzen des Anlegers eingesetzt werden. Es ist schon eine Gratwanderung, wie viel publiziert werden muss, um ein Produkt richtig zu beschreiben.
Damm: Da sollte etwas differenziert werden: Als Folge der Finanzkrise 2008 wurde auf die Derivate eingeprügelt. Das waren zum Teil sehr komplexe Produkte, die unter dem Deckmantel eines guten Ratings weiterverkauft worden sind – als relativ einfache Produkte. Mit Blick auf die aktuelle Krise sind es aber gerade die einfachsten Produkte, die Sorgen bereiten: In den letzten Jahren wurde immer gepredigt, man soll in Staatsanleihen investieren, das wurde auch durch Vorschriften gefördert, weil sie mit niedrigem Risikogewicht versehen sind. Die Krise ist durch eine massive Staatsverschuldungsproblematik ausgebrochen. Das hat meiner Meinung nach nichts mit komplexen Finanzprodukten zu tun.
Napokoj: Um das Vertrauen generell wieder herzustellen, brauchen wir jedenfalls Transparenz. Wir sehen es bei den Börseprospekten: Es ist nicht immer leicht, alles verständlich zu erklären. Auch hinsichtlich der Verordnungen, die jetzt direkt in Österreich anwendbar sind, muss man berücksichtigen, dass diese zum Teil Begriffe enthalten, die wir in der österreichischen Rechtssprache nicht kennen. In der Auslegung tut man sich dann schwer, hier kann es zu Rechtsunsicherheiten kommen.
Pribil: Was auch wichtig ist: Die Eigenverantwortung. Man kann nicht alles wieder ersetzt bekommen. Ein Sparbuch ist einfach sicherer als ein Wertpapier, als eine Aktie. Das muss jeder Anleger wissen. Die Ausbildung muss daher nicht nur beim Berater, sondern auch beim Kunden ansetzen. Allein sind wir hier etwas überfordert, das geht bis in die Schulen hinein. Ebenfalls schwer verordnet werden kann auch das Pricing. Ein Sparbuch wird wahrscheinlich künftig niedrig verzinst sein müssen, weil dahinter die Einlagensicherung steht - bis hin zum Staat. Ein Wertpapier – je nach Ausgestaltung – wird eine höhere Rendite bringen, aber der Investor trägt damit auch ein höheres Risiko. Das muss er wissen. Ich glaube diese Kombination kann Vertrauen wieder schaffen und den Kapitalmarkt stärken.
Damm: Weil das Schlagwort Transparenz jetzt oft gefallen ist: Ich würde mir wünschen, dass die Transparenz auch innerhalb der Unternehmen grösser wird. Wir haben in den vergangenen Jahren – auch aufgrund der Vorschriften von Basel II und der quantitativen Risikomanagementthematik mit vielen komplexen mathematischen Modellen - eine hohe Intransparenz im internen Risikomanagement beobachtet. Etwa dass zum Teil der tatsächliche Risikogehalt nicht nur nach aussen falsch transportiert wurde, sondern auch intern. Berichte, in denen vom Risikomanagement mit komplexen Formeln und mathematischen Berechnungen Zahlen dargestellt worden sind, wurden auf der Empfängerseite eigentlich nicht mehr verstanden.
Ein konkretes Beispiel: Uns wurde etwa der Value at Risk (gibt an, welchen Wert der Verlust einer bestimmten Anlage innerhalb eines gegebenen Zeithorizonts nicht überschreitet, Anm.) eines sehr grossen Hedgefonds-Portfolios mit 300.000 Euro angegeben. Das ist im Grunde genommen nichts. Das Dumme war nur: Der VaR war in diesem Fall gar keine geeignete Kennzahl, um das Risiko darzustellen.
Man hat hier schon auch unter dem Deckmantel der Mathematik versucht, Transparenz zu schaffen, die gar keine war. Das geht auch in den Themenblock Governance hinein.
Napokoj: Das ist ja ein allgemeiner Trend: Hin zu einer guten Corporate Governance, hin zu einer guten Compliance. Ich kann kein Compliance System entwickeln und das jedem Unternehmen aufsetzen. Das ist auch von Beraterseite ein sehr spannendes Feld: Wer wohin berichtet, wer das auch wirklich versteht und wie effektiv das Ganze ist.
Pribil: Wir haben eine ähnliche Erfahrung gemacht. Und ich möchte da nicht den Kamm über alle Unternehmen an der Börse scheren. Der Punkt ist: Es reicht nicht aus, einen Compliance Officer und eine Compliance Abteilung zu haben. Man muss das wirklich leben. Wir haben festgestellt, dass etwa einige Unternehmen in eine heikle Phase, zB in eine Übernahme, eingetreten sind, wo Insiderinformationen nur so sprudelten. Diese Insiderinformationen wurden aber nicht an den Compliance Officer weitergegeben. Der kann sich aufhängen und noch so gute Ratschläge haben, wenn er in einer solchen Situation nicht involviert ist. Dann nützt die gesamte Compliance Organisation für diesen Zweck – nämlich Insider Trades zu verhindern - überhaupt nichts. Man muss wirklich – auch täglich - die Herausforderung mit der eigenen Compliance Organisation aufnehmen, damit man nicht zu hart am Wind der Legalität segelt. Fälle, durchaus berühmte Fälle aus der Vergangenheit, haben gezeigt, dass man diese Grenze zum Verbotenen sehr leicht überschreiten kann.
Napokoj: Compliance ist auch interne Disziplin, hinter der Vorstand und Aufsichtsrat stehen müssen.
Cafe BE: Ist das schon in allen Vorstandsetagen angekommen?
Pribil: Es gibt aus meiner Sicht auf jeden Fall noch Nachholbedarf. Es wird weitere Verschärfungen auf der EU-Ebene geben, die Regierung hat zuletzt ebenfalls einige Punkte festgemacht, bis hin zu Entlohnungsmodalitäten für den Vorstand. Und wir haben auch unsere Vor-Prüfungstätigkeit erhöht und schauen uns gerade die börsenotierten Unternehmen unter diesem Gesichtspunkt noch stärker an.
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Cafe BE: Sie haben die Änderungen im Corporate Governance Bereich, die die Regierung auf den Weg gebracht hat, angesprochen: Also etwa Einzelauflistung der Vorstandsgehälter, zweijährige Wartezeit für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat. Musste das wirklich alles in ein Gesetz gegossen werden?
Napokoj: Meines Erachtens wäre der CG Kodex ausreichend gewesen. Die an der Wiener Börse gelisteten Unternehmen haben sich so ziemlich alle dem Kodex unterworfen. Wenn sich das Unternehmen freiwillig daran hält, zeigt es auch die Einstellung zum Thema auf.
Damm: Für den Bankenbereich kann ich sagen, dass die Implementierung der Vergütungs-Richtlinie (CRD III) durchaus sinnvoll ist und in der Branche auch für Aufsehen gesorgt hat. Das gesetzliche Festschreiben von Normen, von Offenlegung, von der Koppelung der Vergütung an eine Performance, an Risikokennzahlen; erläuternde Bemerkungen, die sehr klar machen, dass Umgehungstatbestände – egal wo sie stattfinden – nicht geduldet werden - das war alles sinnvoll und hat auch zu einem Umdenken geführt. Viele unserer Kunden beschäftigen sich damit sehr intensiv. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass sich die FMA das genau ansieht. Wir haben einen Ruck gespürt.
Pribil: Die Krise hat schon gezeigt, dass freiwillige Regulierungen – „soft law“ – nicht wirklich funktionieren. Viele halten sich daran, aber eben die bösen Buben und die bösen Mädchen nicht. Sie haben die Cooling-off-Periode beim Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat erwähnt. Da gibt es einige Fälle im Bankenbereich aus der Vergangenheit, wo das überhaupt nicht funktioniert hat. Stichwort: Hypo Alpe Adria. Aber auch Fälle, wo dann der ehemalige Vorstandsvorsitzende in den AR gewechselt ist und von dort die wichtigsten Entscheidungen weiter managen wollte. Das kann nicht funktionieren. Und deshalb befürworte ich auch diesen Weg, den die Regierung jetzt gegangen ist.
Severin: Der Corporate Governance Kodex wurde im Vorfeld ja lange diskutiert – und wir haben die Notwendigkeit für den Kapitalmarkt, für die Transparenz gesehen. Bestimmte Punkte, wie die Vergütungsstruktur auf Vorstandsebene, sorgten auch für kontroversielle Diskussionen. Aber die meisten Unternehmen publizieren es ohnehin bereits. Es gehört aber auch zur Kapitalmarkthygiene, dass der Gesetzgeber in bestimmten Punkten für Klarheit sorgt. Insofern war es ein guter Schritt für den Kapitalmarkt.
Cafe BE: Sei es bei der Regulierung, etwa hinsichtlich eines Bankeninsolvenzrechts, oder bei Steuerfragen, es taucht immer wieder die Frage auf, ob ein Warten auf die EU oder ein österreichischer Alleingang besser ist. Wie sehen Sie das?
Severin: Österreich steht als Standort im internationalen Wettbewerb, das gilt auf aufsichtsrechtlicher Ebene ebenso wie auf steuerrechtlicher Ebene. Im Investmentfondsbereich ist zB Luxemburg ein sehr starker Platz, der sehr dominant ist. Was die Besteuerung von Vermögen und Wertpapieren betrifft, sollte sehr behutsam vorgegangen werden, weil Vermögen sich sehr schnell global einen neuen Weg sucht. Und wenn man Steuern einführt, dann sollten sie transparent und einfach für alle sein.
Hier vermisse ich doch etwas die Sensibilität für den österreichischen Finanzplatz. Es wird sehr gerne auf den Kapitalmarkt hingezeigt, aber wenn man bedenkt, wie klein dieser Markt mittlerweile ist und andere Bereiche aussen vor sind, wird das sehr populistisch gehandhabt. Auf der steuerlichen Seite also keine Alleingänge.
Damm: Ich kann mich dem leider Gottes nur anschliessen. Trotz aller Schwierigkeiten, die der Kapitalmarkt in Österreich hat, wird mit diesem Thema nicht besonders progressiv – im Sinne eines Aufbaus, einer Förderung – umgegangen. Sie haben Luxemburg, ein Gründungsmitglied der EU, erwähnt. Das hat ganz andere Massnahmen gesetzt, einen Investmentfondsmarkt aufzubauen. Sie sind europaweit mit ganz grossem Abstand die Nummer eins - und müssen sich auch den europäischen Regularien unterwerfen. Regulatorisch wird ein Alleingang ohnehin immer schwieriger. Man sollte aufpassen, mit nationalen Wahlrechten oder Alleingängen nicht für Verwirrung zu sorgen. Ich sehe das auch kritisch.
Pribil: Grundsätzlich ist in einem einheitlichen europäischen Wirtschaftsraum kein Platz mehr für Alleingänge, zumal wir noch vor einigen Jahren die Mindestharmonisierung hatten. Sprich, jedes Land konnte noch etwas drauflegen. Das gibt es nicht mehr. Man geht mehr und mehr den Weg in Richtung Maximalharmonisierung, das heisst, kein Spielraum nach oben, aber auch kein Abweichen nach unten. Trotzdem gibt es da und dort noch wenig Raum.
Sie haben die Banken erwähnt, und wir haben noch kein Bankeninsolvenzrecht. Wir müssen aber die Möglichkeit haben, dass Banken aus dem Markt austreten können. Deshalb brauchen wir derzeit zwei Dinge: Einen Restrukturierungsfonds, bei dem in guten Zeiten Geld für solche Fälle zur Seite gelegt wird, und ein eigenes Sonderliquidationsrecht. Einige Länder haben das bereits, die Amerikaner waren nach der Krise besonders schnell. Die EU hat etwas geschlafen. Wir sollten – wie die Regierung auch angekündigt hat – ein Sonderliquidationsrecht für Banken umsetzen. Das ist aber dann kein Alleingang, weil auch in Europa bereits die Briten, die Deutschen, die Schweden eine solche Regelung haben. Die Kommission selbst plant eine Rahmenrichtlinie, die vor allem die grenzüberschreitende Problematik einzufangen versucht.
Napokoj: Ich kann mich nur anschliessen. Wir sehen es auch immer wieder bei der Diskussion über die Gruppenbesteuerung - ein ständiges Auf und Ab, das Österreich nicht gut tut. Internationale Unternehmen, die ihre Europa-Zentrale nach Österreich verlegen wollen, lassen sich von dieser unsicheren Lage eher abschrecken.
Im rechtlichen Bereich wird es sicher Spielräume für Alleingänge geben, insbesondere in der Ausgestaltung des österreichischen Rechts. Das ist aber nichts Neues, wir haben uns im Rechtsbereich immer schon an Deutschland orientiert. Ich glaube, wir tun gut daran, zu schauen was die anderen machen.
Durch das Gespräch führte: Bettina Schragl
Weitere Bilder und Roundtable-Gespräche: http://www.boerse-express.com/cafebe
Elke Napokoj: Momentan haben sehr viele Klienten einen Finanzierungsbedarf, der – wie Sie alle wissen – oftmals sehr schwer über Kapitalerhöhungen oder andere öffentliche Angebote zu lösen ist. Man überlegt dann Alternativen, stösst im österreichischen Recht aber sehr oft auf Probleme. Kapitalerhöhungen über die Börse sind momentan etwa für bestimmte Unternehmen einfach nicht durchführbar. Möchte das Unternehmen einen allfälligen Finanzbedarf, zB für eine Übernahme, mit einem Share to Share Deal oder einer Alternative lösen, dann ist das mit den österreichischen Kapitalerhaltungs- und Kapitalaufbringungsvorschriften oft nicht vereinbar.
Bei einem Share to Share Deal werden die Assets in ein österreichisches Unternehmen via Sacheinlage gegen Gewährung von neuen Aktien eingebracht. Dies ist ein im Ausland gewöhnlicher Vorgang; scheitert jedoch in Österreich häufig an der Differenzhaftung: Der Sacheinleger haftet fünf Jahre lang verschuldensunabhängig. Ein englischer Investor sagt dann schnell, diese Vorschriften sind ihm zu skurril, die gibt es im englischen Recht nicht. Daran scheitern momentan auch Transaktionen. In Grossbritannien oder Deutschland hingegen sind vom Gesetzgeber gewisse Erleichterungen für kleine Kapitalerhöhungen und Ähnliches vorsehen. Das wäre auch für österreichische Unternehmen sehr vorteilhaft.
Paul Severin: Im Investmentfonds-Bereich sehe ich im Wesentlichen zwei grosse Entwicklungen: Regulatorisch sind die Vorschriften verschärft worden – Stichwort ist UCITS IV, die neue EU-Richtlinie, die jetzt in lokales Recht umgesetzt wird. Das bedeutet natürlich Aufwand. Auch die neue Kapitalzuwachssteuer wird die Investmentbranche treffen und zusätzlichen administrativen Aufwand bringen – und das in einer Zeit, in der das Wertpapiergeschäft alles andere als einfach ist.
Dominik Damm: Ich sehe zwei, drei Herausforderungen: Zum einen die zahlreichen regulatorischen Massnahmen, die im gleichen Zeitraum auf die Finanzbranche einprasseln: Basel III, CRD IV, UCITS IV, Mifid II, man redet bereits von UCITS V. Diese Massnahmen sind unfassbar vielschichtig. Die juristische Herausforderung ist die Integration ins bestehende Recht. Da ist mir noch nicht ganz klar, wie das funktionieren soll. Es wird in den nächsten Jahren jedenfalls spannend, wie diese Fülle von Gesetzen in das nationale Recht integriert werden soll. Wir werden de facto einen riesigen regulatorischen Umbruch sehen.
Von der praktischen, der geschäftlichen Seite haben wir bei den Banken gesehen, dass sich mit Basel III zuerst alles auf das Kapitalthema konzentriert hat, also auf die Frage, ob die neuen Kapitalquoten erreicht werden können. Dann rückte die Liquidität in den Fokus, und diese Kennzahlen werden in der Umsetzung wahrscheinlich mindestens genauso schwer einzuhalten sein. In Summe wird das ein gewichtiges GuV-Thema für die Banken. Es wird künftig sehr, sehr schwierig, einen Return on Equity zwischen 10% und 15% zu erwirtschaften. Die Folge sind geschäftsmodell-strategische Überlegungen in den Banken: Kann das Geschäftsmodell noch Ertrag abwerfen, wie muss es geändert, risikogewichtete Aktiva abgebaut oder Kapitalmassnahmen getroffen werden. Das sind schon sehr, sehr strategische Überlegungen.
Kurt Pribil: Nicht nur der Börse Express feiert zehn Jahre, die FMA ist heuer auch zehn Jahre. Für mich im Rückblick waren es sehr aufregende Jahre, und es reisst nicht ab. Ich wage zu behaupten, dass sich in keiner Epoche davor so viel getan hat, wie in den letzten zehn Jahren. Drei Punkte von meiner Seite: Die FMA ist als unabhängige, weisungsfreie Behörde gegründet worden und hat mittlerweile ihre Durchsetzungskraft verstärkt. Und wir haben den Einstieg in die Europäisierung der Aufsicht begonnen.
Zu Basel: Früher war die Aufsicht Kontrolle über nackte Kennzahlen, mit Basel II sind wir in die qualitative Aufsicht, in die Systemaufsicht hineingegangen. Die Krise hat gezeigt, dass dies allein noch nicht genügt. Das Eigenkapital war für die Banken nicht ausreichend hart definiert und auch zu niedrig. Mit Basel III haben wir nun ein verbessertes Risikomanagement, eine Systemaufsicht und bessere und höhere Eigenkapitalquoten.
Letzter Punkt: Unser Kampf gegen Marktmanipulation und Insider. Hier leiden wir schon noch etwas unter der ‘Insider Party’ der 90er Jahre. Der Kampf gegen Marktmanipulation im breitesten Sinne war bis 2005 überhaupt totes Recht, Stichwort Telekom Austria. Jetzt haben wir ausreichende Bestimmungen, auch im Kampf gegen Insider. Allerdings müssen wir – und damit meine ich alle Beteiligten, bis hin zu den Gerichten – das auch entsprechend umsetzen.
Cafe BE: Stichwort Marktmanipulation. Herr Severin, haftet Österreich aus Investorensicht nach wie vor dieses Negativ-Image an?
Severin: Die Wiener Börse hat zum einen eine sehr positive Entwicklung genommen und sich über Privatisierungen und die Öffnung nach Osteuropa international positioniert und lange Zeit davon profitiert. Aber es gab leider auch immer wieder Vertrauens-Rückschläge, etwa bei den Immoaktien, bei der Telekom Austria. Solche Ereignisse schaden natürlich dem Börseplatz. Dazu gehören auch Änderungen in den Rahmenbedingungen generell, etwa die Einführung einer Kurszuwachssteuer. Das sind Ereignisse, die in Summe dem Finanzplatz eher geschadet haben. Dieses Vertrauen muss dann immer wieder behutsam neu aufgebaut werden. Es kann natürlich auch Unternehmen verschrecken, die vielleicht an die Börse gehen wollen.
Napokoj: Österreich ist immer noch ein Land der Familienunternehmen, auch diese haben Kapitalbedarf. Man müsste vielleicht etwas mehr auf die Struktur der österreichischen Wirtschaft eingehen. Wenn wir Klienten sagen, welche Verpflichtungen mit einer Notiz im „mid market“ der Wiener Börse verbunden sind, dann ist vielen der Verwaltungsaufwand zu hoch. Hier sollten Alternativen angedacht werden.
Damm: Um bei den KMU einzuhaken: Zum Kommissionsentwurf zur Eigenkapitalrichtlinie CRD IV (Gesetzgebungsvorschlag der EU-Kommission zur Umsetzung der neuen Eigenkapitalregeln Basel III in europäisches Recht, Anm.)kam zuletzt der Vorschlag für eine Senkung der Risikogewichte für KMU um 30%. Das ist ein zarter Versuch, die Eigenmittelanforderungen der Banken für diese Unternehmen zu reduzieren. Ob es auch umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Ich denke aber, dass man sich der KMU-Thematik auf parlamentarischer Seite bewusst ist.
Pribil: Eine Bemerkung zur Kapitalmarktkultur und KMU, wir diskutieren das auch oft in der Europäischen Wertpapieraufsicht. Es gibt da vielleicht einen gewissen Spielraum. Nur ist dieser nicht sehr gross, das hat auch mit Haftungsfragen zu tun. Was die Transparenz anbelangt, ist bereits ein Umdenken eingetreten. Transparenz bedeutet etwa nicht, dass der Kapitalmarktprospekt von 90 auf 180 Seiten verdoppelt wird, sondern dass man einen, für den Investor lesbaren Beipackzettel hat.
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Cafe BE: Die Fondsbranche ist ebenfalls mit der Vereinfachung von Prospekten konfrontiert. Wie geht es Ihnen dabei?
Severin: Das sogenannte Key Information Document, KID, ist für die Investmentbranche das neue Factsheet, das den vereinfachten Prospekt ablöst und bis Sommer verpflichtend zur Verfügung steht. Ich finde das positiv für die Konsumenten, weil das Anlageprodukt leichter verständlich und übersichtlicher wird. Damit einhergehen weitere Neuentwicklungen, etwa was den Risikofaktor in der Veranlagung anbelangt.
Da gibt es den SRRI-Indikator, das ist ein synthetischer Risiko-Ertrags-Indikator, bei dem auf Basis der Vergangenheit die Volatilität des Produkts ermittelt und in Kategorien transparent gemacht wird. Die Produkte werden damit in punkto Risiko vergleichbarer, auch die Kosten werden transparenter. Alles in allem ist das ein sehr positiver Schritt in Richtung Konsumentenschutz, verbunden allerdings mit einem ordentlichen Implementierungsaufwand.
Cafe BE: Der Aufwand wurde bereits ein paar Mal angesprochen. Dürfen Kosten-Nutzen-Rechungen für den Gesetzgeber ein Thema sein?
Napokoj: Das ist eine sehr schwierige Frage. Zum einen versucht man, die Prospekte zu vereinfachen, zum anderen handelt es sich dabei für Unternehmen um ein Haftungsdokument. Schlussendlich mündet es dann oftmals wieder in einem riesigen Dokument, um potenzielle Haftungen auszuschliessen. Die Balance ist schwierig. Generell werden die Corporate Governance Themen natürlich für Unternehmen immer aufwendiger und kostspieliger. Aber hier kann man von Beraterseite nicht sagen: ‘Überlegt Euch die Kosten und schränkt das ein’. Das geht einfach nicht. Das ist einfach ein gestiegener Aufwand, mit dem man fertig werden muss.
Damm: Wir sehen schon, dass unsere Kunden teilweise kämpfen, und ich rede da durchaus auch von den grösseren. Zum einen werden die regulatorischen Vorschriften immer strenger und umfangreicher, zum anderen wird auch die Auslegung immer schwieriger. Ich würde mir wünschen, dass das in vielen Leitfäden erwähnte Proportionalitätsprinzip stärker umgesetzt wird. Es ist schon klar, dass international aktive Banken alle Vorschriften bis zu einem sehr hohen Grad erfüllen müssen. Dass diese Vorschriften auch für kleinere Banken, Privatbanken gelten, ist auch einzusehen. Aber der Porportionalitätsgedanke sollte wirklich gelebt werden. Das ist natürlich eine Gradwanderung. Aber ansonst werden irgendwann die Compliance- und die Mid-Office-Abteilungen grösser sein als jener Bereich, der das Geschäft machen soll.
Cafe BE: Was sagt die FMA dazu?
Pribil: Das ist noch relativ moderat im Vergleich zu dem, was wir sonst zu hören bekommen. Ganz klar ausgedrückt: Vor der Krise wurden wir, auch die anderen Aufseher gescholten, weil es „viel zu viele“ Bestimmungen gab. Alle sind gegen die so genannte Überregulierung angerannt. Und nach der Krise waren wir wiederum schuld, dass es zu wenige Instrumente zur Vorbeugung gegeben hat.
Ihre Frage war auch, ob wir Kosten-Nutzen-Rechnungen scheuen. Ganz und gar nicht. Es stellt sich aber schon die Frage, was bei den Kosten bzw. dem Nutzen berücksichtigt wird. Vor der Krise gab es einige Studien der Industrie, die aufgezählt haben, wie teuer die Regulierung ist. Solche Studien würden natürlich nach der Krise ganz anders aussehen. Wenn man den möglichen Implementierungskosten die Auswirkungen einer Krise, auch einer regionalen, gegenüberstellt, dann wage ich zu behaupten, dass viele solcher Studien ganz anders ausgegangen wären.
Noch zwei Gedanken: Gerade wir als kleineres Land treten in den europäischen Gremien immer für gelebte Proportionalität ein - dort wo es Sinn macht. Das heisst, kleinere Betriebe oder Finanzmarktteilnehmer sollen von gewissen Regelungen weniger betroffen sein oder Flexibilität haben. Compliance darf nicht zu kurz kommen, aber sie muss lebbar sein.
Und damit Regulierung nicht zum Selbstzweck wird, darf es auch nicht sein, dass bei Banken Gewinne in guten Zeiten absolut privatisiert sind und die Verluste – so es schief geht - sozialisiert werden. Und damit meine ich nicht nur österreichische, sondern internationale Banken. Hier muss überlegt werden, wie man mit diesem globalen Problem umgeht.
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Severin: Ich erwarte, dass aufgrund der Regulierung das Produktangebot reduziert wird. Am Beispiel Derivate: In Investmentfonds sind sie zwecks Absicherung von Risken gang und gäbe. Wenn in der Beschreibung der Veranlagungsstrategie und im Prospekt allerdings breit der Einsatz von Derivaten beschrieben wird, dann schreckt das viele Berater, viele Anleger ab – obwohl die Instrumente zum Nutzen des Anlegers eingesetzt werden. Es ist schon eine Gratwanderung, wie viel publiziert werden muss, um ein Produkt richtig zu beschreiben.
Damm: Da sollte etwas differenziert werden: Als Folge der Finanzkrise 2008 wurde auf die Derivate eingeprügelt. Das waren zum Teil sehr komplexe Produkte, die unter dem Deckmantel eines guten Ratings weiterverkauft worden sind – als relativ einfache Produkte. Mit Blick auf die aktuelle Krise sind es aber gerade die einfachsten Produkte, die Sorgen bereiten: In den letzten Jahren wurde immer gepredigt, man soll in Staatsanleihen investieren, das wurde auch durch Vorschriften gefördert, weil sie mit niedrigem Risikogewicht versehen sind. Die Krise ist durch eine massive Staatsverschuldungsproblematik ausgebrochen. Das hat meiner Meinung nach nichts mit komplexen Finanzprodukten zu tun.
Napokoj: Um das Vertrauen generell wieder herzustellen, brauchen wir jedenfalls Transparenz. Wir sehen es bei den Börseprospekten: Es ist nicht immer leicht, alles verständlich zu erklären. Auch hinsichtlich der Verordnungen, die jetzt direkt in Österreich anwendbar sind, muss man berücksichtigen, dass diese zum Teil Begriffe enthalten, die wir in der österreichischen Rechtssprache nicht kennen. In der Auslegung tut man sich dann schwer, hier kann es zu Rechtsunsicherheiten kommen.
Pribil: Was auch wichtig ist: Die Eigenverantwortung. Man kann nicht alles wieder ersetzt bekommen. Ein Sparbuch ist einfach sicherer als ein Wertpapier, als eine Aktie. Das muss jeder Anleger wissen. Die Ausbildung muss daher nicht nur beim Berater, sondern auch beim Kunden ansetzen. Allein sind wir hier etwas überfordert, das geht bis in die Schulen hinein. Ebenfalls schwer verordnet werden kann auch das Pricing. Ein Sparbuch wird wahrscheinlich künftig niedrig verzinst sein müssen, weil dahinter die Einlagensicherung steht - bis hin zum Staat. Ein Wertpapier – je nach Ausgestaltung – wird eine höhere Rendite bringen, aber der Investor trägt damit auch ein höheres Risiko. Das muss er wissen. Ich glaube diese Kombination kann Vertrauen wieder schaffen und den Kapitalmarkt stärken.
Damm: Weil das Schlagwort Transparenz jetzt oft gefallen ist: Ich würde mir wünschen, dass die Transparenz auch innerhalb der Unternehmen grösser wird. Wir haben in den vergangenen Jahren – auch aufgrund der Vorschriften von Basel II und der quantitativen Risikomanagementthematik mit vielen komplexen mathematischen Modellen - eine hohe Intransparenz im internen Risikomanagement beobachtet. Etwa dass zum Teil der tatsächliche Risikogehalt nicht nur nach aussen falsch transportiert wurde, sondern auch intern. Berichte, in denen vom Risikomanagement mit komplexen Formeln und mathematischen Berechnungen Zahlen dargestellt worden sind, wurden auf der Empfängerseite eigentlich nicht mehr verstanden.
Ein konkretes Beispiel: Uns wurde etwa der Value at Risk (gibt an, welchen Wert der Verlust einer bestimmten Anlage innerhalb eines gegebenen Zeithorizonts nicht überschreitet, Anm.) eines sehr grossen Hedgefonds-Portfolios mit 300.000 Euro angegeben. Das ist im Grunde genommen nichts. Das Dumme war nur: Der VaR war in diesem Fall gar keine geeignete Kennzahl, um das Risiko darzustellen.
Man hat hier schon auch unter dem Deckmantel der Mathematik versucht, Transparenz zu schaffen, die gar keine war. Das geht auch in den Themenblock Governance hinein.
Napokoj: Das ist ja ein allgemeiner Trend: Hin zu einer guten Corporate Governance, hin zu einer guten Compliance. Ich kann kein Compliance System entwickeln und das jedem Unternehmen aufsetzen. Das ist auch von Beraterseite ein sehr spannendes Feld: Wer wohin berichtet, wer das auch wirklich versteht und wie effektiv das Ganze ist.
Pribil: Wir haben eine ähnliche Erfahrung gemacht. Und ich möchte da nicht den Kamm über alle Unternehmen an der Börse scheren. Der Punkt ist: Es reicht nicht aus, einen Compliance Officer und eine Compliance Abteilung zu haben. Man muss das wirklich leben. Wir haben festgestellt, dass etwa einige Unternehmen in eine heikle Phase, zB in eine Übernahme, eingetreten sind, wo Insiderinformationen nur so sprudelten. Diese Insiderinformationen wurden aber nicht an den Compliance Officer weitergegeben. Der kann sich aufhängen und noch so gute Ratschläge haben, wenn er in einer solchen Situation nicht involviert ist. Dann nützt die gesamte Compliance Organisation für diesen Zweck – nämlich Insider Trades zu verhindern - überhaupt nichts. Man muss wirklich – auch täglich - die Herausforderung mit der eigenen Compliance Organisation aufnehmen, damit man nicht zu hart am Wind der Legalität segelt. Fälle, durchaus berühmte Fälle aus der Vergangenheit, haben gezeigt, dass man diese Grenze zum Verbotenen sehr leicht überschreiten kann.
Napokoj: Compliance ist auch interne Disziplin, hinter der Vorstand und Aufsichtsrat stehen müssen.
Cafe BE: Ist das schon in allen Vorstandsetagen angekommen?
Pribil: Es gibt aus meiner Sicht auf jeden Fall noch Nachholbedarf. Es wird weitere Verschärfungen auf der EU-Ebene geben, die Regierung hat zuletzt ebenfalls einige Punkte festgemacht, bis hin zu Entlohnungsmodalitäten für den Vorstand. Und wir haben auch unsere Vor-Prüfungstätigkeit erhöht und schauen uns gerade die börsenotierten Unternehmen unter diesem Gesichtspunkt noch stärker an.
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Cafe BE: Sie haben die Änderungen im Corporate Governance Bereich, die die Regierung auf den Weg gebracht hat, angesprochen: Also etwa Einzelauflistung der Vorstandsgehälter, zweijährige Wartezeit für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat. Musste das wirklich alles in ein Gesetz gegossen werden?
Napokoj: Meines Erachtens wäre der CG Kodex ausreichend gewesen. Die an der Wiener Börse gelisteten Unternehmen haben sich so ziemlich alle dem Kodex unterworfen. Wenn sich das Unternehmen freiwillig daran hält, zeigt es auch die Einstellung zum Thema auf.
Damm: Für den Bankenbereich kann ich sagen, dass die Implementierung der Vergütungs-Richtlinie (CRD III) durchaus sinnvoll ist und in der Branche auch für Aufsehen gesorgt hat. Das gesetzliche Festschreiben von Normen, von Offenlegung, von der Koppelung der Vergütung an eine Performance, an Risikokennzahlen; erläuternde Bemerkungen, die sehr klar machen, dass Umgehungstatbestände – egal wo sie stattfinden – nicht geduldet werden - das war alles sinnvoll und hat auch zu einem Umdenken geführt. Viele unserer Kunden beschäftigen sich damit sehr intensiv. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass sich die FMA das genau ansieht. Wir haben einen Ruck gespürt.
Pribil: Die Krise hat schon gezeigt, dass freiwillige Regulierungen – „soft law“ – nicht wirklich funktionieren. Viele halten sich daran, aber eben die bösen Buben und die bösen Mädchen nicht. Sie haben die Cooling-off-Periode beim Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat erwähnt. Da gibt es einige Fälle im Bankenbereich aus der Vergangenheit, wo das überhaupt nicht funktioniert hat. Stichwort: Hypo Alpe Adria. Aber auch Fälle, wo dann der ehemalige Vorstandsvorsitzende in den AR gewechselt ist und von dort die wichtigsten Entscheidungen weiter managen wollte. Das kann nicht funktionieren. Und deshalb befürworte ich auch diesen Weg, den die Regierung jetzt gegangen ist.
Severin: Der Corporate Governance Kodex wurde im Vorfeld ja lange diskutiert – und wir haben die Notwendigkeit für den Kapitalmarkt, für die Transparenz gesehen. Bestimmte Punkte, wie die Vergütungsstruktur auf Vorstandsebene, sorgten auch für kontroversielle Diskussionen. Aber die meisten Unternehmen publizieren es ohnehin bereits. Es gehört aber auch zur Kapitalmarkthygiene, dass der Gesetzgeber in bestimmten Punkten für Klarheit sorgt. Insofern war es ein guter Schritt für den Kapitalmarkt.
Cafe BE: Sei es bei der Regulierung, etwa hinsichtlich eines Bankeninsolvenzrechts, oder bei Steuerfragen, es taucht immer wieder die Frage auf, ob ein Warten auf die EU oder ein österreichischer Alleingang besser ist. Wie sehen Sie das?
Severin: Österreich steht als Standort im internationalen Wettbewerb, das gilt auf aufsichtsrechtlicher Ebene ebenso wie auf steuerrechtlicher Ebene. Im Investmentfondsbereich ist zB Luxemburg ein sehr starker Platz, der sehr dominant ist. Was die Besteuerung von Vermögen und Wertpapieren betrifft, sollte sehr behutsam vorgegangen werden, weil Vermögen sich sehr schnell global einen neuen Weg sucht. Und wenn man Steuern einführt, dann sollten sie transparent und einfach für alle sein.
Hier vermisse ich doch etwas die Sensibilität für den österreichischen Finanzplatz. Es wird sehr gerne auf den Kapitalmarkt hingezeigt, aber wenn man bedenkt, wie klein dieser Markt mittlerweile ist und andere Bereiche aussen vor sind, wird das sehr populistisch gehandhabt. Auf der steuerlichen Seite also keine Alleingänge.
Damm: Ich kann mich dem leider Gottes nur anschliessen. Trotz aller Schwierigkeiten, die der Kapitalmarkt in Österreich hat, wird mit diesem Thema nicht besonders progressiv – im Sinne eines Aufbaus, einer Förderung – umgegangen. Sie haben Luxemburg, ein Gründungsmitglied der EU, erwähnt. Das hat ganz andere Massnahmen gesetzt, einen Investmentfondsmarkt aufzubauen. Sie sind europaweit mit ganz grossem Abstand die Nummer eins - und müssen sich auch den europäischen Regularien unterwerfen. Regulatorisch wird ein Alleingang ohnehin immer schwieriger. Man sollte aufpassen, mit nationalen Wahlrechten oder Alleingängen nicht für Verwirrung zu sorgen. Ich sehe das auch kritisch.
Pribil: Grundsätzlich ist in einem einheitlichen europäischen Wirtschaftsraum kein Platz mehr für Alleingänge, zumal wir noch vor einigen Jahren die Mindestharmonisierung hatten. Sprich, jedes Land konnte noch etwas drauflegen. Das gibt es nicht mehr. Man geht mehr und mehr den Weg in Richtung Maximalharmonisierung, das heisst, kein Spielraum nach oben, aber auch kein Abweichen nach unten. Trotzdem gibt es da und dort noch wenig Raum.
Sie haben die Banken erwähnt, und wir haben noch kein Bankeninsolvenzrecht. Wir müssen aber die Möglichkeit haben, dass Banken aus dem Markt austreten können. Deshalb brauchen wir derzeit zwei Dinge: Einen Restrukturierungsfonds, bei dem in guten Zeiten Geld für solche Fälle zur Seite gelegt wird, und ein eigenes Sonderliquidationsrecht. Einige Länder haben das bereits, die Amerikaner waren nach der Krise besonders schnell. Die EU hat etwas geschlafen. Wir sollten – wie die Regierung auch angekündigt hat – ein Sonderliquidationsrecht für Banken umsetzen. Das ist aber dann kein Alleingang, weil auch in Europa bereits die Briten, die Deutschen, die Schweden eine solche Regelung haben. Die Kommission selbst plant eine Rahmenrichtlinie, die vor allem die grenzüberschreitende Problematik einzufangen versucht.
Napokoj: Ich kann mich nur anschliessen. Wir sehen es auch immer wieder bei der Diskussion über die Gruppenbesteuerung - ein ständiges Auf und Ab, das Österreich nicht gut tut. Internationale Unternehmen, die ihre Europa-Zentrale nach Österreich verlegen wollen, lassen sich von dieser unsicheren Lage eher abschrecken.
Im rechtlichen Bereich wird es sicher Spielräume für Alleingänge geben, insbesondere in der Ausgestaltung des österreichischen Rechts. Das ist aber nichts Neues, wir haben uns im Rechtsbereich immer schon an Deutschland orientiert. Ich glaube, wir tun gut daran, zu schauen was die anderen machen.
Durch das Gespräch führte: Bettina Schragl
Weitere Bilder und Roundtable-Gespräche: http://www.boerse-express.com/cafebe