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Massive Expertenkritik an der rückwirkenden Überschussgewinnsteuer -Standortfrage und Thema im Rahmen der EVN-HV

 

So Werner Beutelmeyer, Geschäftsführer der Paul-Lazarsfeld Gesellschaft, die schon das Ergebnis der jüngsten NÖ-Landtagswahl punktgenau vorhergesagt hat: „Energie ist ein nationales Thema, so dass ich jedem Staat einen eigenen Sondergang bei der Problemlösung nahelege, und keine EU-weite Aktion empfehle.“ In Österreich sei die Energiewirtschaft wegen des hohen öffentlichen Eigentums historisch stark politisch vorherbestimmt. Beutelmeyer ist nicht der einzige heimische Fachmann, der die Überschussgewinnsteuer als kontraproduktiv, geradezu als gefährlich bezeichnet.

Alles andere als clever.

Auch der Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Gabriel Felbermayr, hält die Übergewinnsteuer für keine gute Idee, für einen bedauerlichen ordnungspolitischen Sündenfall und zweifelt an ihrer Cleverness: „Sie mildert nämlich in keiner Weise die Energieprobleme, die wir derzeit haben. Durch die Steuer kommt kein zusätzliches Gas oder kein zusätzlicher Strom auf den Markt. Die Knappheiten ändern sich durch diese Steuer nicht. Investoren in Energieunternehmen müssen das Vertrauen haben, dass wenn das Geschäft läuft, sie auch die Früchte ihres Investments ernten können. In vielen Sektoren, etwa in der Pharmaindustrie, dauert das jahrzehntelang! Die Sorge, die man bei der neuen Übergewinnsteuer haben muss ist, dass künftig Investoren doppelt so lange zögern werden, bis sie investieren, weil sie befürchten müssen, dass wenn das Geschäft endlich läuft, der Staat kommt und ihnen das Geld wegsteuert; wenn das Geschäft nicht läuft, müssen die Aktionäre harte Zeiten allein durchstehen. Daher befinden wir die Steuer für unglücklich!“

Wie solidarisch ist der Solidaritätsbeitrag?

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr hält den von der EU kreierten offiziellen Namen der neuen Steuer – „Solidaritätsbeitrag“ (siehe Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates vom 6. Oktober 2022) -- für unsolidarisch: „Damit will man den Eindruck erreichen, dass man mit den Einnahmen aus der neuen Steuer diverse Strom- und Gaspreisbremsen finanzieren will, so dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass die Energiekonzerne damit etwas zurückgeben müssen, was sie vorher ihren Kunden an hohen Preisen verrechnet haben. So kommt das Solidaritätsthema zustande. Trotzdem ist die Übergewinnbesteuerung, auch wenn man sie noch so euphemistisch benennt, keine gute Idee. Viel besser wäre es gewesen, man hätte die Energieknappheit an der Wurzel bekämpft. Ich nenne beispielsweise das sogenannte ‘iberische Modell’, das man europaweit umlegen sollte. Die Erzeugung von Gas oder Strom hätte bezuschusst werden sollen. Das hätte Strom oder Gas für alle billiger gemacht, die Unternehmensgewinne bei den erneuerbaren Energien verringert; das wäre eine ordnungspolitisch saubere Maßnahme gewesen!“

Wirtschaftsforscher Felbermayr setzt sich demnach für eine wesentlich realistischere, sauberere, vor allem aber den Konsumenten gegenüber wahrheitsgemäßere Lösung der Energiepreiskrise ein.

Erschüttertes Vertrauen in den Kapitalmarkt.

Sorgen über die Konsequenzen der neuen rückwirkenden Übergewinnbesteuerung auf den österreichischen Kapitalmarkt und das Börsenumfeld macht sich auch Vorstandsdirektor Helmut Bernkopf von der Österreichischen Kontrollbank. „Es ist eine Ausnahmesituation, die sich gegenwärtig auf dem Energiemarkt abspielt. Als Kontrollbank, die wichtige Aufgaben innerhalb der österreichischen Kapitalmarktinfrastruktur, der Börse bzw. dem Aktienmarkt wahrnimmt, sehen wir die Übergewinnbesteuerung sehr kritisch. Jeder Eingriff in Aktiengesellschaften und jede Marktverzerrung, und darum handelt es sich bei diesem Thema, ist dem Kapitalmarkt, seiner Weiterentwicklung sowie dem Vertrauen in diesen Markt sicher nicht dienlich.“ Dass mit der neuen Steuer eiserne Prinzipien der EU gebrochen werden – der freie und faire Wettbewerb, die Schaffung eines für alle Akteure am Markt sogenannten level playing fields (= absolut gleiche Chancen für alle Marktteilnehmer) erklärt Bernkopf mit dem Hinweis, dass die multiplen Krisen der Gegenwart gelegentlich finanzielle Sondermaßnahmen erforderlich machten. Etwa die zeitweise Aussetzung von Managerboni oder die Verschiebung von Gewinnausschüttungen. „Dennoch sehen wir all das im Hinblick auf die Erhaltung des freien Kapitalmarktes und des Vertrauens der Investoren in diesen sehr kritisch.“

Die praktische Umsetzung all der umstrittenen Steuermaßnahmen in die tägliche Praxis und die Information der Investoren, insbesondere der privaten Kleinaktionäre der betroffenen Unternehmen, spielt sich nun bei deren Generalversammlungen ab, wo jeder Aktionär sein Frage- und Auskunftsrecht geltendmachen kann. Dort kommt die auch von Österreich wie von den anderen EU-Mitgliedsländern umzusetzende EU-Verordnung erstmals zur konkreten Anwendung und finanziellen Auswirkung für jeden Aktienbesitzer. Was ihre rechtlichen Fragen angeht, sieht die EU-Vertretung in Österreich die Umsetzung hierzulande als „vollständig mit dem EU-Recht vereinbar“.

Übergewinnsteuer aus EVN-Sicht.

Das Thema „rückwirkende Überschussgewinnsteuer“ hat erwartungsgemäß bei der ersten wichtigen ordentlichen Hauptversammlung des Börsenjahres 2023, der 94. oHV des niederösterreichischen Landesenergieunternehmens EVN, am 2. Februar 2023 die Gemüter erhitzt. Rund die Hälfte der Diskussionen mit den Aktionären war den Themen neue bzw. höhere Stammkartenbesorgungsgebühr durch Banken sowie rückwirkende Übergewinnbesteuerung zu Lasten heimischer Stromunternehmen gewidmet. Allerdings war die Präzision der Fragenbeantwortung endenwollend.

Vorstandsdirektor Stefan Szyszkowitz verwies Klagen der Aktionäre über den jüngsten Höhenflug der Bankgebühren für Wertpapierbesitzer an die Geldinstitute zurück; die EVN sei für die Kontinuität ihrer Dividendenausschüttung zuständig, die Banken für ihre Gebühren. Er verstehe, dass die steigende Kostenbelastung engagierte Aktionären schmerze und verunsichere, aber er wisse kein Gegenmittel. Ebensowenig konkret waren seine Angaben, wie sich die neue Übergewinnsteuer konkret zu Lasten der Aktionäre und des künftigen Investitionsbudgets auswirken. Denn zwei Monate nach Inkrafttreten der einschlägigen österreichischen Verordnung sei noch immer nicht klar, wie die neue Abgabe konkret zu berechnen sein werde. Die Höhe der neuen Abgabe richte sich nämlich auch danach, inwieweit eigene Investitionen der betroffenen Energieunternehmen in Energiewende, Dekarbonisierung und Erforschung neuer nachhaltiger Energien politisch anerkannt und von der Steuerlast abgezogen werden dürfen. Szyszkowitz: „Bevor das Fell des Bären verteilt wird, muss der Bär erlegt werden. Dann werden wir sorgfältig entscheiden, was wir selbst investieren und was an Solidaritätsabgabe abgeliefert werden muss. Mangels konkreter Formulierungen in der Verordnung über den Solidaritätsbeitrag können wir derzeit keine klaren Entscheidungen treffen.“ Daher gab Szyszkowitz auch keine näheren Auskünfte darüber, wie sich die 12,6-prozentige Beteiligung der EVN an der Verbundgesellschaft finanziell auswirken wird; dazu nur so viel: „Eine mögliche Verbund-Dividende wird nicht ein zweites Mal der Übergewinnsteuer unterzogen werden.

Die Höhe der Gesamtbelastung der EVN durch die neue Steuer schätzt Szyszkowitz „mit einem dreistelligen Millionenbetrag ein, wobei an erster Stelle wohl eine Eins stehen wird“. Eine entsprechende Rücklage habe die EVN bereits gebildet. Eine Klage der EU nach Vorbild des US-Öl-Konzerns ExxonMobil wegen der neuen Übergewinnsteuer schließt der EVN-Vorstandsdirektor ausdrücklich aus.

Abgesagter Wirbel.

Der von der „Presse“ für die jüngste EVN-oHV angekündigte „Wirbel in der Hauptversammlung“ wegen falscher Strategien von Vorstandsdirektor Szyskowitz durch den Aktionär Klaus Umek vom Londoner Hedgefonds Petrus Advisers, der die schlechte Performance der Aktie beklagt und einen dritten Vorstand für Finanzen fordert, hat nicht stattgefunden. Aufsichtsratsvorsitzende Bettina Glatz-Kremsner bestätigte, dass Szyskowitz seine vorgegebenen Ziele als Vorstand zu 100 Prozent erfüllt hat.

 

Die Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates vom über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise

Die wichtigsten Bestimmungen zur Übergewinnsteuer findet man im Kapitel III in den Artikeln 14 bis 18. Artikel 14 normiert die Unterstützung von Energieendkunden durch den rückwirkenden zeitlich befristeten Solidaritätsbeitrag. „Übergewinne von im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätige Unternehmen und Betriebsstätten der Europäischen Union unterliegen einem befristeten obligatorischen Solidaritätsbeitrag. Artikel 15 beschreibt die Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Solidaritätsbeitrags. Diese wird auf Grundlage der steuerpflichtigen Gewinne im Haushaltsjahr 2022 und/oder 2023, wenn sie mehr als 20 Prozent über dem Durchschnitt der nach Anfang 2018 beginnenden vier Jahre lagen, ermittelt. Gab es in diesen vier Jahren Verluste, fällt kein Solidarbeitrag an. Es gibt keinen Hinweis darauf, warum die Übersteuergrenze gerade mit 20 Prozent festgelegt worden ist. In der weltumspannenden Logistikbranche (Seeschifffahrt und Containermiete) wurden im Verlauf der aktuellen Krisen Unternehmensgewinne von mehr als 200 Prozent verzeichnet, ohne dass sie von der EU in den Bereich von Übergewinn einbezogen worden sind. Nirgends wird von der EU die enge Definition des Begriffs Übergewinn auf eine eng begrenzte Branche erklärt.

Artikel 16 legt die Berechnung des Solidaritätsbeitrages fest: Der Satz beträgt mindestens 33 Prozent der laut Artikel 15 genannten Bemessungsgrundlage. Er wird zusammen mit den anderen Steuern und Abgaben des jeweiligen Unternehmens eingehoben.

Artikel 17 beschäftigt sich mit der Verwendung der Solidaritätsbeiträge. Diese sind sehr vielfältig. Die EU-Mitgliedstaaten dürfen vom Aufkommen gezielte finanzielle Unterstützungen für Endkunden, besonders für schutzbedürftige Haushalte zur Abmilderung hoher Energiepreise vornehmen; ebensolche für Unterstützungen zur Senkung des Energieverbrauchs; Unterstützungen für Unternehmen in energieintensiven Branchen, wenn diese Investitionen in ­erneuerbare Energien, Energieeffizienz oder Dekarbonisierungs-Technologien vornehmen; wenn sie Energieautonomien weiterentwickeln; wenn sie zwischen EU-Mitgliedern die Finanzierung von Maßnahmen bewirken, die die Auswirkungen der Energiekrise verringern. Artikel 18 schließlich begrenzt die Einhebung des Solidaritätsbeitrages auf ein einziges Jahr. 

 

 

Aus dem Börse Express PDF vom 03.02.2023 

 

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