ROUNDUP: Industrie in Deutschland steckt in Krise fest
BERLIN (dpa-AFX) - Die deutsche Industrie steckt in der Krise fest. "Die Stimmung ist miserabel", sagte Industriepräsident Peter Leibinger in Berlin. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) rechnet auch in diesem Jahr mit einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung. Die Zukunft des Industriestandorts stehe auf dem Spiel. Der Vorsitzende der Gewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis, sagte: "Die Krise der Industrie verfestigt sich."
Düstere Aussichten
Der BDI erwartet für das laufende Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent - während die Weltwirtschaft mit 3,2 Prozent wachsen werde. Deutschland bleibe damit konjunkturell eines der Schlusslichter. BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner sagte, für den Fall von US-Zöllen auf EU-Importe könnte die deutsche Wirtschaft sogar um fast 0,5 Prozent schrumpfen.
Im vergangenen Jahr ging die Wirtschaftsleistung von Europas größter Volkswirtschaft das zweite Jahr in Folge zurück. Erwartet wird, dass die Bundesregierung am Mittwoch ihre Konjunkturprognose deutlich nach unten korrigiert und für das laufende Jahr nur noch ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von 0,3 Prozent erwartet. Im Herbst ging die Regierung noch von einem Wachstum von 1,1 Prozent aus. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) legt am Mittwoch den Jahreswirtschaftsbericht vor.
Strukturelle Krise
Leibinger nannte eine immer weiter wachsende Bürokratie, hohe Energiepreise und einen Fachkräftemangel als größte Probleme. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen sei bedroht. Dabei sei die wirtschaftliche Basis eigentlich gut. Die Probleme seien groß, aber nicht unlösbar. Der BDI-Präsident forderte die neue Regierung zu einem Kurswechsel auf, um Standortbedingungen zu verbessern. Die Unternehmen bräuchten zeitnah Entlastungssignale und eine "entschlossene Agenda" für mehr Wachstum.
Forderungen an neue Regierung
Auch der IGBCE-Vorsitzende Vassiliadis forderte, die nächste Bundesregierung müsse das Ruder herumreißen. "Das Land schwimmt in einem toxischen Mix aus konjunkturellen und strukturellen Problemen." Die Industriegewerkschaft fordert unter anderem ein schnell wirksames Konjunkturprogramm mit Impulsen für mehr Investitionen, etwa über staatliche Zulagen. Außerdem müssten vor allem die Stromkosten gesenkt werden.
Der Branchenverband Gesamtmetall forderte die neue Bundesregierung zu einem 100-Tage-Programm auf. Hauptgeschäftsführer Oliver Zander sagte, nur so könne ein Aufbruch-Gefühl entstehen. Die Standortbedingungen hätten sich laut einer Umfrage des Verbands für mehr als 93 Prozent aller Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert oder sogar deutlich verschlechtert. Die IGBCE machte sich für ein Konjunkturprogramm stark.
Gewerkschaft will Reiche zur Kasse bitten
Die IGBCE schlägt außerdem für milliardenschwere Zukunftsinvestitionen eine einmalige Vermögensabgabe der reichsten Deutschen vor. Vassiliadis sprach sich für einen "Turnaroundfonds" aus, der in die Modernisierung und den Aufbau von Infrastruktur investiere und Transformationsprojekte der Industrie fördere. Als Startkapital sollten Einnahmen aus einer einmaligen Vermögensabgabe des reichsten Promilles der Bevölkerung in Höhe von fünf Prozent dienen. Davon betroffen wären rund 84.000 Menschen mit einem Nettovermögen von jeweils mehr als zehn Millionen Euro.
Mit der Abgabe kämen nach Berechnungen der Gewerkschaft Einnahmen von mehr als 175 Milliarden Euro zusammen. Dies entspräche mehr als einem Drittel der notwendigen Summe für staatliche Modernisierungsinvestitionen, die nach BDI-Berechnungen bis 2030 notwendig seien.
Gewerkschaft kritisiert Firmen
Zu viele Unternehmensleitungen hätten die heimischen Standorte vernachlässigt und dagegen anderswo in der Welt investiert, kritisierte Vassiliadis. Möglichkeiten, die etwa die Digitalisierung und der Einsatz von KI biete, seien häufig ungenutzt geblieben. "Das rächt sich jetzt." Fehlende Produktivitätssteigerungen ließen die Standorte im internationalen Wettbewerb weiter an Boden verlieren./wim/DP/jha
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